Eine Datenbank für Nummernschilder
15.04.2024 • Michael Blömeke • Datenbankdesign, Webentwicklung
Dieser Beitrag erzählt eine Geschichte über Dinge, die zunächst trocken bis abstrakt und vermeintlich völlig uninteressant klingen. Es wird eine Geschichte in mehreren Bänden, wie sich alsbald herausstellen sollte – doch davon wird zu einem späteren Zeitpunkt berichtet. Eine Geschichte über ein kleines Museum im Erzgebirge und Rand-Themen der Automobilgeschichte, über Nummernschilder, oder richtiger Zulassungs-Kennzeichen und über die europäische Community ganz spezieller Sammler dieser Nummernschilder, die eher die Bezeichnung „Licence Plates“ verwenden. Protagonisten der Geschichte sind aber auch die Mitglieder eines vielseitigen Teams von Spezialisten unserer Agentur, deren berufliches Selbstverständnis stark durch den Anspruch geprägt ist, für ausnahmslos Alles eine passende Lösung zu finden.
Das Internationale Museum für Nummernschilder, Verkehrs- und Zulassungsgeschichte, kurz „Nummernschildmuseum“, befindet sich in einem historischen Fabrikgebäude in Großolbersdorf im Erzgebirge, etwa 20 km südlich von Chemnitz. Gegründet durch intensive Sammlungstätigkeit und Vereinsengagement, nahm es im April 2001 seine Pforten als gemeinnütziges Projekt eines eingetragenen Vereins auf. Auf rund 350–400 m² Ausstellungsfläche präsentiert es über 3 000 historische Nummernschilder aus über 170 Ländern, begleitet von mehr als 50 alten Verkehrsschildern sowie zahllosen Dokumenten zur Verkehrsgeschichte – etwa Führerscheine, Strafzettel, Zulassungspapiere, unterschiedliche Materialien zur Schildproduktion und vieles mehr. Die Ausstellung deckt die Schriftstück- und Kennzeichnungsentwicklung von der Kaiserzeit, über Besatzungszeiträume, DDR-Zeit und Bundesrepublik bis in die Gegenwart ab, ergänzt durch Themen-Vitrinen wie historische Fahrschulen, Automobilclubs, Kennzeichenherstellung und kuriose Exponate. Das Museum versteht sich als lebendiges, ständig wachsendes Projekt, unterstützt durch Vereinsarbeit, Eintrittsgelder, Spenden und enge Kooperationen mit lokalen und überregionalen Partnern.
Der Auftrag: Die „Deutsche Kennzeichenliste“
Da wir im Folgenden nicht weiter die umgangssprachlichen Bezeichnungen, sondern die juristisch und verwaltungstechnisch korrekten Termini verwenden, müssen diese zunächst kurz erläutert werden. Die korrekte Bezeichnung für das, was umgangssprachlich als Nummernschild bezeichnet wird, lautet „Zulassungs-Kennzeichen“. Und der Inhalt, oder die Aufschrift eines jeden Zulassungs-Kennzeichens enthält einen eindeutigen, unikalen Teil, der einem fest definierten Gebiet zugeordnet ist, das ist das sogenannte „Unterscheidungszeichen“. Dieses steht am Anfang des Kennzeichens und besteht aus bis zu drei Buchstaben. Das Unterscheidungszeichen für den Stadtstaat Berlin ist beispielsweise das „B“. Danach folgt eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen. Das Gebiet, dem ein Unterscheidungszeichen zugeordnet ist, wird als „Zulassungsbezirk“ bezeichnet und die für die Vergabe eines Zulassungs-Kennzeichens für einen Zulassungsbezirk zuständige, amtliche Verwaltungsebene ist eine „Zulassungsbehörde“.
Unser Auftrag vom Nummernschildmuseum lautete, eine öffentlich zugängige, umfassende Informationsquelle für Sammler und andere Interessierte zu schaffen, die den gegenwärtigen Stand der Nummernschilder in Deutschland vollständig abbildet. Diese Informationsquelle sollte vollumfänglich recherchefähig sein, weshalb jegliche manuelle, statische Lösung ausschied und nur eine datenbankgestützte, dynamische Lösung in Frage kam. Alle Kennzeichen sollten nicht nur datentechnisch verfügbar sein, sondern auch grafisch ansprechend und korrekt dargestellt werden, sofern keine Fotos geeigneter Exponate verfügbar sind, und außerdem im geografisch korrekten Kontext zum jeweiligen Zulassungsbezirk und den zuständigen Zulassungsbehörden dargestellt und präsentiert werden. Wegen des Umfangs und der Komplexität der zu erwartenden Daten, sollten alphabetische, thematische, sowie geografische Übersichten die Navigation erleichtern. Dieses gesamte System sollte in die auf WordPress basierende Webseite des Museums integriert werden und zudem Pflegeoberflächen erhalten, welche nachhaltig von Laien intuitiv bedient werden können.
Der Auftrag und das Projekt erhielten den Namen „Deutsche Kennzeichenliste“.
Die Realisation – Eine multidimensionale Datenbank in WordPress
Zunächst eine Anmerkung: In der Planungsphase angestellte Überlegungen und ausführliche, anschließende Versuche, die gestellte Aufgabe – oder wenigstens Teile davon – mittels Künstlicher Intelligenz zu lösen, scheiterten. Keines der offenen KI-Systeme erreichte auch nur annähernd die für dieses Projekt definierten Anforderungen an Präzision und Zuverlässigkeit. Ein eigenes KI-System explizit für die konkrete Aufgabenstellung einzurichten, wäre technisch gut realisierbar gewesen, aber die für einen erfolgreichen Betrieb erforderliche, umfangreiche Trainingsphase hätte den Rahmen möglicher Investitionen erheblich gesprengt und eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit hätte nicht erreicht werden können.
Nummernschilder – jeder kennt sie, jeder glaubt die Systematik hinter Nummernschildern zu verstehen, denn (fast) jeder motorisierte Zeitgenosse war schon mal im Straßenverkehrsamt, hat ein Fahrzeug zugelassen und womöglich auch sein neues Kennzeichen selbst montiert.
Was kann es schon Kompliziertes geben, an der Erfassung aller Nummernschilder?
So, oder ähnlich, könnte man denken.
Die Grundsystematik für die gestellte Aufgabe ergab sich weitgehend aus den Informationen, wie wir vom Nummernschildmuseum erhalten hatten und die aus allgemeinen juristischen Definitionen und verwaltungstechnischen und -rechtlichen Vorgaben zu entnehmen waren. Doch, erfahrene Entwickler und Datenbank-Designer wissen, man fragt nicht nur nach den Standards, nach dem Normalen, sondern man fragt nach den Ausnahmen, den Abweichungen von Regeln, also dem Außergewöhnlichen. Und sie wissen auch, einfaches Nachfragen genügt nicht, man muss nachbohren, man muss immer wieder hinterfragen, man muss sich selbst Varianten oder Ausnahmen ausdenken und diese ansprechen und man muss alles permanent auf Plausibilität prüfen.
Nach dieser Phase ergab sich das folgende Bild:
- Es existieren in Deutschland derzeit 16 Bundesländer
- mit 409 Zulassungsbezirken und
- die darin ansässigen 703 Zulassungsbehörden verwalten
- 769 aktuell gültige Unterscheidungszeichen.
Diese Zahlen zeigen: Auch wenn eine grundlegende Logik existiert, so muss es auch eine Vielzahl von Variationen und Ausnahmen davon geben. Das ist durch diverse Ursachen und Umstände begründet, die es zu eruieren galt.
Diese sind:
- Nicht in jedem Zulassungsbezirk existiert nur ein aktuell gültiges Unterscheidungszeichen, es können auch mehrere sein.
- In jedem Zulassungsbezirk können auch ältere Unterscheidungszeichen existieren, die zwar nicht mehr neu ausgegeben werden, aber immer noch gültig sind.
- Ein aktuelles Unterscheidungszeichen, das primär einem konkreten Zulassungsbezirk zugeordnet ist, kann auch volle Gültigkeit in benachbarten Zulassungsbezirken haben.
- Die primäre Zulassungsbehörde eines Zulassungsbezirks kann auch volle Verwaltungsbefugnis für benachbarte Zulassungsbezirke besitzen.
- Die primäre Zulassungsbehörde eines Zulassungsbezirks befindet sich regulär geografisch auch auf dem Territorium des Zulassungsbezirks. Das muss aber nicht so sein.
- Es existiert keine durchgängige Logik dazu, welche Elemente mit anderen Elementen in welcher Beziehung steht. Oder, um es einfacher zu formulieren: Alles ist möglich, nichts kann ausgeschlossen werden. Es existieren von allen Regeln diverse Ausnahmen.
Ein Blick auf die zu diesem Zeitpunkt bereits existierenden historischen Daten vervollständigte das Bild und das stellte sich wie folgt dar: Die strukturelle Organisation der Daten-Elemente kann bzw. darf keiner starren Hierarchie und Kategorisierung folgen, und die Beziehungen und Abhängigkeiten aller Elemente unter- und zueinander müssen absolut variabel gestaltet werden können. Benötigt wird ein offenes, dynamisches Datenbanksystem, dessen Elemente in jede Dimension und Richtung beliebig expandieren können. Die Identität und Position eines jeden Elementes und jeder Beziehung muss vollständig variabel und flexibel vom System selbst definiert werden können.
Und genau das haben wir dann realisiert durch eine Kombination von
- diversen Custom Post Types, direkt integriert in WordPress
- dynamische Relationen, Beziehungen und Datenbank-Abfragen mittels „Toolset“, integriert als PlugIn
- Multilingualität durch „WPML“, integriert als PlugIn
- komfortable Im- und Export-Schnittstellen mittels „WP All Import“, integriert als PlugIn
- Aufbereitung und Darstellung geografischer Daten mittels „Leaflet“-Bibliothek sowie einiger individuell programierter Erweiterungen, integriert als PlugIn